Heimat im Ulmtal
Von Ernst Besser - entnommen aus der Broschüre ,,1200 Jahre Ulmtal-Orte" (Ulmtal 1974).
Anmerkung der ASV-Internet-Redaktion (2024): Ein interessanter, inzwischen historischer, Bericht der den Lauf des Ulmbachs, sowie das Leben am und im Bach, anschaulich beschreibt. Durch wesentlich reduzierte schädliche Einleitungen in das Gewässer und seit dem unser Verein den Bach nachhaltig betreut, hat sich die Situation für die Bachforellen, Groppen, Krebse und die Kleintierwelt am Bachgrund nachweislich verbessert. Zudem kommen Flora und Fauna auch die in einigen Bachabschnitten durchgeführten Renaturierungsmaßnahmen zu Gute.
In unserer Heimat ist es nicht selten, dass eine scharf umgrenzte Landschaft ihren Namen nach dem Fluss oder Bach erhalten hat, welcher sie durchfließt. "Auf der Lahn", "auf der Dill", "auf der Bieber", "auf der Lemp" und "auf der Ulm" sind landläufige Bezeichnungen, die, von altersher gebräuchlich, jedem Einheimischen Begriffe sind.
Zu den reizvollsten Gegenden unserer Heimat gehört das Ulmtal. Die Dörfer "auf der Ulm" sind Allendorf, Ulm und Holzhausen. Die weiter oben gelegenen Ortschaften Wallendorf, Beilstein und Haiern liegen nicht mehr "auf der Ulm", sondern "auf dem Wald" (Westerwald).
Von dorther kommt unser Ulmbach. Er ist ein echtes Kind des Westerwaldes, denn an den Hängen des 605 m hohen Berges Knoten und der 573 m sich erhebenden Lehnstruth nimmt er seinen Ursprung. Er bildet sich aus mehreren kleinen Wasserläufen, die aus den Naßgallen der Weide- und Wiesengründe am Fuße der genannten Höhen herauskommen und sich vereinigen. Erlen begleiten den Bach und markieren so seinen Lauf, der in der flachen Mulde der Westerwälder Hochfläche sonst gar nicht hervortreten würde.
Drei Kilometer ostwärts des Quellgebietes durchfließt der Bach das Dorf Münchhausen und treibt unterhalb desselben die erste Mühle, die "Pfalzmühle". Sein Lauf geht weiter durch die Wiesen und Weiden der Westerwalddörfer Seilhofen und Rodenberg, deren Bauernhöfe von Norden und Nordosten zum Bache herüberblicken. Allmählich wendet sich dieser nach Südosten, und auch die flache Talmulde wandelt sich von Haiern an in eine tief ausgewaschene, enge Talfurche. Verursacht wird dieses durch das Abfallen der Westerwaldhochfläche nach der Lahn hin und durch die Basaltkuppen bei Beilstein. "Schmalburg" und "Beilsteiner Lei" engen den Lauf des Baches ein und bieten der Nagearbeit des Wassers stärkeren Widerstand. Haiern und Beilstein durchfließt der Bach und treibt auch in den beiden Dörfern je eine Mühle.
In Holzhausen gab es früher zwei Mühlen
Unterhalb von Wallendorf verlässt der Bach den Dillkreis und tritt in den Kreis Wetzlar ein. In Holzhausen waren früher zwei Mühlen, heute ist nur noch die "Oberste Mühle" in Betrieb. Kurz unterhalb derselben führt das "Typhusbrückelchen" über den Wasserlauf; es ist das ein Holzsteg, der errichtet wurde, als im Dorf eine Typhusepidemie ausgebrochen war. Da durften die Bewohner des auf der linken Bachseite gelegenen Oberdorfes ihr Wasser nicht am Dorfbrunnen auf dem "Kreuzplatz" holen, sie mussten über das "Typhusbrückelchen" zu einem im Felde gelegenen Brunnen gehen. Der Brunnen ist heute noch vorhanden, eine verrostete Pumpe erinnert an ihre vormalige Zweckbestimmung und Bedeutung.
Zwischen Holzhausen und Ulm, etwas unterhalb der "Naubrück" (neuen Brücke), nicht weit von "Heukrats Höhl" (ein alter Versuchsstollen), wendet sich der Bach nach Süden und behält von nun an diese Richtung bis zu seiner Mündung in die Lahn bei. Das Dorf Ulm durchfließt er, ohne seine Kraft zu nutzbringender Arbeit anzuwenden. Dagegen treibt er unterhalb von Allendorf die Mattern'sche Mühle, in der Gemarkung Bissenberg die "Pitzmühle" und in Biskirchen die Staaden'sche Mühle. Dann ist des Baches kurzer Lauf zu Ende, er mündet bei Biskirchen in die Lahn. Zwanzig Kilometer hat der Ulmbach von der Quelle bis zur Mündung zurückgelegt. Das Quellgebiet liegt 550 m über dem Meeresspiegel, die Mündung 135 Meter. Das Gefälle beträgt somit 415 m, das sind 20 m auf einen Kilometer und gilt noch als schnell fließendes Gewässer Wie eilig aber hat es der Ulmbach, vom "Wald" hinunter ins Tal zu gelangen!
Im Sommer freilich merkt man es nicht so sehr. Dann sucht er sich zwischen den zahllosen Bachsteinen leise murmelnd und gemächlich seinen Weg, dann füllt er sein breites Winterbett nicht aus, dann kann man ihn fast an jeder Stelle überspringen oder, von Stein zu Stein tretend, trockenen Fußes überqueren. Dagegen ist er im Herbst und besonders im Frühjahr bei der Schneeschmelze ein schäumender, brausend dahinfließender Fluss, der die dicken Basaltsteine talwärts rollt und bald hier, bald dort, im Tal sein Bett verlegt. Dann tönt das Brausen über das Dorf, und von dem Rauschen können die Anwohner nicht einschlafen.
Unsere Dorfkinder sind mit dem Bach von Jugend an vertraut und verwachsen. An, in und mit ihm spielen sie, formen aus einem feuchten Sand ihre Kuchen, fangen an den seichten Stellen die Fischlein, lassen ihre Schiffchen aus Kiefernborke auf ihm schwimmen, bauen Wasserräder, ober- und unterschlächtige, errichten Staudämme und Badekumpen, schlagen Brücken und Stege von Ufer zu Ufer, liegen am Bachrande auf dem Bauche und greifen furchtlos und sachkundig die Forellen in ihren Schlupfwinkeln, und wenn sie dabei auch einmal eine Wasserratte erwischen, die ihnen in die Finger beißt, so erhebt sich wohl ein Schreien und Toben, aber die Lust am Fischfang geht dadurch nicht verloren.
Vor einigen Jahrzehnten gab es noch Forellen im Bach
Die Alten erzählen, dass der Ulmbach in ihrer Jugendzeit ein reich besetzter Forellenbach war. Das hat sich leider in den letzten Jahrzehnten geändert. Der Grund dafür ist hauptsächlich in der zunehmenden Trübung und Verunreinigung des Wassers durch hineingeleitete Abwässer aller Art zu suchen.
Außer den Forellen sind auch die Aale in den schlammigen tieferen Kumpen zu finden, und Schwärme von Elritzen steigen selbst die kleinsten Wassergräben hinauf. Das tun auch die Forellen, vorzüglich im November, wenn sie laichen, aber auch das ganze übrige Jahr hindurch holen sich die geübten Forellengreifer die so genannte Steinforelle aus dem schmalen Wasserlauf des Eidebaches.
Die Krebse waren um die Jahrhundertwende im Ulmbache fast ganz ausgestorben. Das hatte seine Ursache in dem rücksichtslos betriebenen Fang und in dem seit dem Jahr 1876 in allen Gewässern unseres Landes beobachteten Auftreten der Krebspest. Seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts vermehren sich die Krebse im Ulmbach von Jahr zu Jahr, so dass sie jetzt wieder häufig anzutreffen sind.
Bachmuscheln findet man auch vereinzelt, sie haben in dem schnell fließenden Gewässer mit dem meist steinigen Untergrund nicht die ihnen gemäßen Lebensbedingungen.
Zahlreich ist die Kleintierwelt auf dem Bachgrunde: die Wasserasseln, die Insektenlarven, welche im Wasser ihre Entwicklungsstufen durchmachen, die Wasserschnecken, die Wasserkäfer und oben auf dem Wasserspiegel die Schlittschuhläufer, deren munteres Laufspiel den Blick immer wieder fesselt.
In den Frühlingsmonaten ist überall am Bachrande zwischen den Steinen Kröten- und Froschlaich zu sehen, unter denen allerdings die Enten mächtig aufräumen. Über dem Bachlauf jagt in den Sommermonaten die Libelle ihre Beute, und das ganze Jahr hindurch sieht man immer wieder den bunt schillernden Eisvogel auf einem über den Wasserspiegel hängenden Erlenzweig sitzen, auf Beute harrend oder aufgescheucht in schnellem Fluge, dem Wasserlauf folgend, dahin schießen. Seinen Nistplatz in irgendeinem Kanal oder einer Erdhöhle findet man selten.
In den letzten Jahren kommen dann und wann Fischreiher und Wildenten aus dem Lahntal und statten unserem Bach einen kurzen Besuch ab. Im Spätherbst fallen manchmal durchziehende Wildgänse ein und halten sich ein paar Tage im Tal auf.
Kurz nach dem ersten Weltkrieg wurde angeblich zwischen Wallendorf und Holzhausen am Ulmbach ein Fischotter geschossen.
Auffallend und typisch an vielen Stellen des Bachufers findet man die »braare Bachblerrer« (breite Bachblätter). Gemeint sind die Blätter der Pestwurz. Früher hat man ihre Wurzeln als Mittel gegen die Pest angewandt. In dem trockenen und heißen Sommer des Jahres 1947, als es an Futter für das Vieh mangelte, wurden die klein geschnittenen Blätter der Pestwurz den Schweinen gekocht und von diesen gern gefressen. Erlen- und Weidenbüsche begleiteten früher fast den ganzen Lauf des Baches. Heute, zur Zeit der intensiven Bodenbewirtschaftung, werden sie immer wieder entfernt.